Prof. Fuchs – Menschenhandel aus theologischer Perspektive

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Menschenhandel aus theologischer Perspektive

Ottmar Fuchs, Tübingen

1. Was „ist“ Menschenhandel?

Was hat bei alledem die Theologie noch zu sagen, ist sie nicht überflüssig? Es ist doch ohnehin alles klar, jedenfalls für uns hier: Menschen sind nicht vermarktbar, Menschenhandel ist etwas Zerstörerisches und Schlechtes und sollte weltweit geächtet und verboten sein. Und es ist ja gut, wenn die Theologie das bestätigen kann. Nur welchen Wert hat diese Bestätigung? Und gibt es gegenüber dem ohnehin schon Eingesehenen so etwas wie eine Innovation, einen zusätzlichen Horizont? Auf die genaue Wahrnehmung bleiben wir angewiesen, weil daraus, betreibt man sie mit bestimmten Optionen, zugleich Urteile folgen, wie etwa die ethische Option, möglichst genau und gerecht wahrzunehmen. Was bereits wahrgenommen und sozialpolitisch wie auch allgemeinpolitisch angestrebt wird, hat bereits eine so hohe Bedeutsamkeit, dass sich die Theologie am Besten in den Dienst dieser Bedeutsamkeit stellt. Es geht auch für sie darum, nicht wegzuschauen, sondern dorthin schauen zu wollen, wo es weh tut.

Ich gehe im Folgenden nicht empirisch, nicht rechtlich und auch nicht unmittelbar ethisch auf unsere Fragestellung zu, sondern phänomenologisch: Was ist denn das, wenn Menschen mit Menschen handeln, sie zur Ware machen? Welche Haltung kommt darin zum Ausdruck? Wann beginnt das? Wo sind die Anfänge? Und welche Ressourcen gib es, dagegenzu halten? Was ist das „Wesen“ des Menschenhandels? Wo sind die Wurzeln, die anthropologischen, auch die theologischen? In dieser Hinsicht lade ich also dazu ein, von bisherigen notwendigen Analysen einen Schritt zurückzutreten und mit einer aus meinen Überlegungen hoffentlich gewonnenen Einsicht wieder auf dieses Problemfeld zuzugehen. Es geht nicht darum, das Ganze auf „das Böse“ des kriminellen Menschenhandels zu reduzieren, sondern darum, hier die Spitze des Eisbergs wahrzunehmen, nämlich die äußersten Verwirklichungsformen von Einstellungen und Praktiken, auch von Ideologien, die es in der ganzen Gesellschaft und in vielen Bereichen gibt. Es geht darum, wie Frau Salazar gesagt hat, die Ressourcen für „changing mentality“ in unserer eigenen Spiritualität aufzusuchen. Es geht um eine im guten Sinn des Wortes „ideologische Unterstützung“, damit Theologie und Kirche nicht im eigenen Haus mentalitätsmäßig, vielleicht auch ohne es zu wollen und zu wissen, bezüglich solcher Haltungen „religiously sanctifying“ sind. Jede fundamentalistische Heilsexklusivität zum Beispiel wäre so etwas.

Wir sind bereits durch die Analysen zur Vorsicht gemahnt: Vor allem auch zur Vorsicht, mit Innen-außen-Zuteilungen, mit gut-gegen-bös Aufspaltungen allzu leichtfertig umzugehen. Manchmal sind Täter und Beschützer nicht leicht unterscheidbar, sind eher vernetzt und zu wechselnden Situationen und Zeiten oszillierend. Gleichwohl ist festzuhalten: Im Kern gibt es tatsächlich Opfer und Täter mit unabweisbarer Evidenz, die darin besteht, wer denn nun Leid zufügt und wer sie erleidet: Wenn jemand gefoltert wird, kann man nicht mehr die Opfer-Täter-Differenz in diesem Augenblick in Frage stellen.

Aber bleiben wir bei der gegenseitigen Vernetzung, in der wir selber stecken. Es geht um das Verhältnis von Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit, von Freiheit und Unterwerfung: bis in religiöse Systeme hinein. Die oft verschleierte Fratze von Institutionen und Menschen ist abzunehmen, damit offenbar werden: Habsucht, Herrschsucht, Befriedigungssucht und Gewalttrieb, Gier, die Erniedrigungssucht, die Gewaltfaszination, das für Andere schädliche Ausleben des Sexualtriebes, und wo man sich nicht scheut, Menschen für die eigenen Zwecke einzusetzen, gar ihre Not auszunutzen, und sie zu erniedrigen. Wo Menschen schon lange vor kriminellem Verhalten zur Ware werden, mit jeder Art von Ver-Warung und Verdinglichung von Menschen. Die Entrüstung über die Anderen, über die Täter, verbindet sich dann mit der entsprechenden Erschrecken uns gegenüber. Viele, und oft auch wir, sind befallen von solchen Haltungen, benötigen Alternativen.

Wenn ein deutscher Generalvikar sagt, dass man mit der Priesterweihe die Menschenrechte verliert, weil man Gehorsam schwört, zeigt sich darin die Wurzel solcher Einstellungen. Oder wenn deutsche Politiker und Politikerinnen in China hinsichtlich der Menschenrechte schweigen oder zurückhaltend sind, damit die vorteilhaften Handelsbeziehungen nicht in Gefahr kommen. All das beginnt ja schon im sogenannten normalen Alltag, wenn sich Frauen in Familien, Arbeitsräumen und in Kirchen als herabgesetzt und gedemütigt erfahren.

2. Spitze des Eisbergs

Der Menschenhandel, sei es in der sexuellen Ausbeutung, sei es in Ausbeutung von Arbeitskraft, ist die Spitze des Eisbergs, die mit den destruktiven Trieben der Menschen und dem Kapitalismus gegeben ist, mit dem Kaufen und Verkaufen als fast einziger Beziehungskategorie und vor allem mit dem Verhältnis von Gier und Wachstum. Die Grenzen zwischen krimineller Energie und Kapitalgewinn sind labil und fließend, wie die öffentlichen Beispiele der Steuerhinterziehung zeigen. Gier ist eine Tugend in dieser Gesellschaft, in der alten Tugendlehre ist Gier aber Habgier und damit absolut negativ besetzt. Im gesamten Kapitalismus wird der Mensch als Ware betrachtet, als das, das was er leistet, ohnehin.

Im Rechtssystem der Antike war das Sklaventum innerhalb des Rechtssystems verankert. Im Niederschlagen von Sklavenaufständen konnte man sich keinen Ruhm erwerben, wie etwa in der Eroberung anderer Länder und Königreiche. Denn dies gehörte zur schmutzigen Wiederherstellung des eigenen Rechtssystems. In der Kriminalisierung der Sklaverei in der Moderne zeigt sie zwar ein anderes Bewusstsein der Sklaverei gegenüber, doch in der Folge geht die damit verbundene Haltung im Frühkapitalismus nicht verloren, Menschen nämlich weitgehend nur im Kontext ihrer zwar bezahlten, aber rentablen Arbeits- und Marktfähigkeit zu benutzen. In der Zuspitzung regieren Käuflichkeit und Verkäuflichkeit. Das System zeigt sich bis zur Kenntlichkeit entstellt.

Mafiakonzerne vollziehen in extremer Weise, was der Kapitalismus an Mentalität durchgängig aufweist: nämlich auf Kosten anderer vorwärts zu kommen, das entscheidende Stück des Mehrseins und Mehrhabens den anderen gegenüber wenn nötig mit Gewalt herzustellen und zu erobern, damit die Gier (gar nicht zuerst die Habsucht) befriedigt wird. Der Finanzcrash zeigt den Irrsinn und die unzähligen Opfer dieser Strategien weltweit.

An dieser Stelle gehe ich in die Schule von Walter Benjamin, der vom Extremfall der Unterdrückten her einzusehen vermag, was im normalen Leben immer präsent ist, dem man aber nicht in die Augen schauen will. So gilt es, vom Extremfall des Menschenhandels her die eigene „Normalität“ zu begreifen: Es geht um eine ganz bestimmte zugriffige Warenästhetik innerhalb der Ökonomie der Kapitalisierung. Es geht um das Verhältnis von Autonomie und Begrenztheit von Autonomie und wie die letztere human zu gestalten ist. Überspitzte Autonomie bringt Rücksichtslosigkeit. Schon jede Instrumentalisierung eines Menschen, jedes ihn zum Objekt der eigenen Wünsche machen, ist eine Form oder Vorform der Sklaverei.

Es geht um die Unterbrechung kapitalistischer Systematik und Strukturalität bereits in den Köpfen, Herzen und Bäuchen der Menschen. Denn Menschenhandel und Menschensklaverei beginnen in den Köpfen, beginnen in den Herzen der Menschen, genährt von ihrer Gier und Herrschsucht. Es ist die Sucht nach Zugriffigkeit, Menschen in der Hand zu haben und zu halten, sie zu besitzen, sie für die eigenen Zwecke einzusetzen.

Bereits mit der väterlichen Drohung, „So lange Du Deine Füße unter unseren Tisch setzt, hast du entsprechend zu parieren!“, beginnt das Sklaventum, nämlich die Instrumentalisierung von Menschen für eigene Bereiche ohne ihre Freiheit zu achten. Wo Liebe an eine Wenn-Dann-Struktur gebunden wird, wo sie die Freiheit knebelt, wo sie mit Unterwerfung erkauft ist, beginnt das „Sklavenhaus“.

Es geht also darum, das Gut-Böse-Schema nicht aufzulösen, sondern in seiner Zuteilung zu irritieren, mit der Einsicht, dass es ähnliche Strukturen schon in der sogenannten Normalität des sozialpolitischen und ökonomischen Alltags gibt. Nämlich die Verzweckung des Menschen durch Unterbezahlung für Gewinnmaximierung.

Diese Haltung zeigt sich vor allem in der Doppelverdinglichung von Arbeit und Sexualität, in der Zwangsprostitution in der Kombination von beidem. Die Genderperspektive drängt sich unabweisbar auf und die entsprechende Herrschsucht und Unterwerfungssucht von Männern gegenüber den Frauen: warum ist gerade der Frauenhandel ein besonderer Anteil des Menschenhandels, mit der darin extremen Demütigung von Frauen als Frauen? Entsprechende Unterdrückungsmechanismen begegnen bereits im Alltag: Sexuelle Belästigung im Alltag, Ausgrenzungs- und Unterdrückungsstrategien, Mechanismen der Degradierungen und Beanspruchungen; kirchlich: im Sinne analoger Ausgrenzung von Frauen aus der strukturellen Macht. Es gibt wenige Kontexte und Rollenträger, die hier unschuldig sind. In der Sexualität der Zwangsprostitution ereignet sich die gewalttätige Demütigung am intensivsten, weil hier, wie bei der Folter, der Körper direkt getroffen wird.

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