Moderne Sklaven: Vom Luxusgut zur Wegwerfware

Ein Fallbeispiel

Vor einigen Wochen ging die Meldung von einem misshandelten Hausmädchen aus Pakistan durch verschiedene Medien. Es ist eine Geschichte, wie sie auch in anderen Ländern, etwa Haiti, immer wieder passiert – meist mit keinem guten Ausgang, wie in diesem Fall. Tayyaba, so der Name des zehnjährigen (!) Mädchens wäre immer noch in dem Haus in einer reichen Gegend der pakistanischen Hauptstadt Islamabad, wenn nicht ein Foto von ihr auf Twitter die Runde gemacht hätte. Es zeigt sie mit einem dick geschwollenen rechten Auge, Schürfwunden, blauen Flecken und Brandblasen an den Händen. Die Ärzte entdeckten dann insgesamt mehr als 20 Verletzungen an ihrem Körper. Tayyaba sei gefoltert worden, heißt es in dem Bericht, der dem Obersten Gericht vorgelegt wurde.

Tayyabas Martyrium nahm vor zwei Jahren seinen Anfang. Wie fast immer, so auch hier, stammt das Opfer aus einer armen Familie. Die Eltern schickten das Kind über eine „Vermittler“ aus der Punjab-Provinz nach Islamabad, um im Haushalt eines Richters zu arbeiten und so Schulden ihrer Familie zu begleichen. Doch das Anwesen des Richters wurde für das Mädchen zum Horrorhaus. Neben schwerster Arbeit wurde Tayyaba regelmäßig geschlagen und bekam nicht ausreichend zu Essen. Als dann eines Tages ein Besen im Haushalt vermisst wurde, schob die Hausherrin vor Wut Tayyabas Hände in einen heißen Ofen. Schließlich wurden die Behörden auf die Verletzungen aufmerksam. Anfangs erzählte Tayyaba der Polizei noch infolge von Einschüchterung, alles sei nur ein Unfall gewesen. Sie sei die Treppe heruntergefallen, und die Brandverletzungen habe sie sich beim Hantieren mit Feuer selbst zugezogen.

Dann tauchte auf einmal der angebliche Vater von Tayyaba vor Gericht auf und sagte aus, die ganze Foltergeschichte sei nur erfunden. Damit war für das Gericht die Angelegenheit erledigt und es ließ den angezeigten Richter und dessen Frau frei. Danach verschwand Tayyaba und man sagte, Verwandte hätten sie zu sich genommen.

Die positive Rolle sozialer Netzwerke

Wahrscheinlich auf Druck der Öffentlichkeit, da sich das Foto von Tayyaba rasant auf den sozialen Netzwerken verbreitete, schaltete sich Pakistans Oberstes Gericht ein und zog den Fall an sich. Die Polizei begann, nach Tayyaba zu suchen, und fand sie in Islamabad. Die Obersten Richter ordneten an, das Mädchen in einem Waisenhaus unterzubringen. Denn inzwischen gab es Zweifel, ob der bei Gericht anwesende Vater auch tatsächlich ihr Vater ist. Er sei von Anwälten unter Druck gesetzt worden, sagt der Mann. „Ich kann weder lesen noch schreiben. Sie haben mir gesagt, ich solle meinen Fingerabdruck unter ein Papier setzen“, erklärte er den Reporten. Drei Frauen, die behaupteten, die Mutter zu sein, zogen ihr Statement zurück, nachdem ein DNA-Test angeordnet wurde.

Raza Rabbani, Mitglied des Oberhauses des Parlaments von Pakistan, nannte den Fall „beschämend“für sein Land. „Ein Staat soll wie eine Mutter sein, hier hat er sich wie eine Hexe aufgeführt“, sagte er. Senator Javed Abbasi erklärte, der zuständige Richter habe versucht, die ganze Angelegenheit unter den Teppich zu kehren, um die Ehefrau seines Kollegen zu schützen. Andere Richter nahmen hingegen Raja Khurram Ali Khan in Schutz, dies sei nur eine Rufmordkampagne der Medien. Er sei ein zuvorkommender Mensch, der solche Vorfälle niemals billigen würde. Andere weisen darauf hin, dass es nicht das erste Mal sei, dass Dienstboten in einem Haushalt der pakistanischen Elite misshandelt werden. Im Jänner 2014 war ein 15-jähriges Mädchen, das als Angestellte im Haushalt eines Universitätsprofessors arbeitete, gestorben, nachdem es vergewaltigt und gefoltert worden war. 2012 starb eine offenbar misshandelte Elfjährige im Haushalt des Präsidenten der Anwaltskammer von Lahore. Der Autopsiebericht verschwand auf mysteriöse Weise. Später hieß es, das Mädchen sei an einer Hautkrankheit gestorben. Verurteilt wurde niemand.

Kinderarbeit – und alle schauen weg …

Kinderarbeit ist, man kann es kaum glauben, nicht überall verboten. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein war Kinderarbeit in ganz Europa weit verbreitet. Deutschland und Österreich bilden da keine Ausnahme. In der Landwirtschaft, in Heimbetrieben und in der sich schnell entwickelnden Industrie waren die unterbezahlten Kinder beliebte Arbeitskräfte. Oft mussten sie körperlich anstrengende Arbeiten erledigen, die sie krank machten. Kaum ein Kind bekam eine richtige Ausbildung, geschweige denn eine Schulbildung.

Nach Angaben von UNICEF arbeiten heute etwa 191 Millionen Kinder zwischen fünf und 14 Jahren, die meisten davon in der Landwirtschaft, in kleinen Werkstätten, als Arbeiter in Steinbrüchen, bei der Ziegelherstellung, als Straßenverkäufer oder Dienstmädchen – und das auch in westlichen und südlichen Ländern.[1] Genaue Zahlen gibt es keine, doch schätzen Studien das Ausmaß der Kinderarbeit sehr hoch ein. Ob in Italien, Großbritannien, Spanien und Portugal – vielfach gehen Kinder, trotz Schulpflicht, einer meist illegalen Arbeit nach, die sie vom Schulbesuch ganz oder zumindest teilweise abhält. Hintergrund sind die ärmlichen Verhältnisse der Familien. Diese sind gezwungen, ihre Kinder gegen Geld an Vermittler abzugeben und sind meist froh, einen Mitesser weniger am gemeinsamen Tisch zu haben. In diesen Gesellschaften ist die Sicht auf das Verbrechen Kinderarbeit so gut wie nicht vorhanden

Werden solche Kinder entdeckt und/oder von der Polizei aufgegriffen, ist es oft schwierig, sie zu ihren Eltern zurückzuschicken, weil die Kinder selbst nicht wissen, woher sie stammen, und die Eltern oft kein Interesse haben, ihre Kinder wieder zu bekommen. Denn dann müssten sie ja das Geld an den Vermittler zurückzahlen, was kaum möglich ist und sie nur nochmal verschulden würde.

Wegwerfware Mensch

Ein weiteres Phänomen, das solche Fälle begünstigt, ist der Preisverfall bei modernen Sklaven. Moderne Sklaverei hat zwei Hauptmerkmale – Sklaven sind billig und sie sind wegwerfbar. Sklaven sind heute billiger als je zuvor. Um 1850 kostete ein durchschnittlicher Sklave im amerikanischen Süden das Äquivalent von $ 40.000 im heutigen Geld – also etwa so viel, wie ein guter Mittelklassenwagen. Dagegen belaufen sich heute die Kosten für einen Sklaven im Durchschnitt um etwa $ 90 – weltweit.[2]

War es im 18. Und 19. Jahrhundert noch schwierig, Sklaven zu fangen und sie nach Übersee zu transportieren, haben sich die Zeiten heute geändert. Infolge des demographischen und wirtschaftlichen Wandels gelten moderne Sklaven zurzeit nicht als lohnenswerte Investitionen, da sie durch „geplante Verarmung“ bestimmter Ländereien und Bevölkerungsschichten in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen. Wird einer davon krank oder verletzt sich, wird dieser einfach entsorgt, also irgendwo freigesetzt, sich selbst überlassen oder getötet.

Betroffen? – Das ist jeder von uns …

Sklaverei begleitet unser tägliches Leben, in unseren Häusern, Büros und Schulen durch viele der Produkte, die wir kaufen und nutzen. Kindersklaven ernten etwa Kakaobohnen in Westafrika, die als Schokolade in unseren Geschäften landet. Sklaven machen Kohle in Brasilien, die zur Herstellung von Stahl für unsere Autos verwendet wird. An vielen Nahrungsmitteln und Rohstoffen hängt Sklavenarbeit, wie etwa Tomaten, Gurken, Orangen, Thunfisch, Garnelen, Baumwolle, Ziegel, Diamanten, Eisen, Zucker und Gold. Und nicht zu vergessen die seltenen Erden, die sich in vielen unsere elektronischen Geräte wieder finden. Somit ist jeder von uns betroffen. Zeit also, sich dessen bewusst zu werden und Strategien dagegen zu entwickeln.


Quellen:

[1] → Wikipedia Autoren (2016UTC). Hg. v. Die freie Enzyklopädie Wikipedia. Online verfügbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/Kinderarbeit#Strittige_Fragen, zuletzt aktualisiert am 20.12.2016UTC, zuletzt geprüft am 08.02.2017UTC.

[2] → Bales, Kevin (©2004): Disposable people. New slavery in the global economy. Rev. ed. with a new preface. Berkeley: University of California Press.

Agnes Tandler (2017): Pakistan: Zehnjährige im Haus eines Richters gefoltert. Hg. v. Der Standard – Tageszeitung online. Internet. Online verfügbar unter http://derstandard.at/2000051516862/Pakistan-Zehnjaehrige-im-Haus-eines-Richters-gefoltert, zuletzt aktualisiert am 26. Jänner 2017, 06:00, zuletzt geprüft am 08.02.2017.

Ulla Rehbein, Tobias Aufmkolk (2016): Kinderarbeit in Europa. Hg. v. ARD. Internet. Online verfügbar unter http://www.planet-wissen.de/geschichte/menschenrechte/kinderarbeit/pwiekinderarbeitineuropa100.html, zuletzt aktualisiert am 25.07.2016.

Web Desk (2017): Tayyaba torture case: The real story behind the ‘pardon’. Hg. v. The News International. Internet. Online verfügbar unter https://www.thenews.com.pk/latest/178372-Tayyaba-torture-case-The-real-story-behind-the-pardon, zuletzt aktualisiert am 11.01.2017, zuletzt geprüft am 08.02.2017.

 

 

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